Frisch ist das neue Jahr und selbst wenn wir nicht unbedingt große Vorsätze gemacht haben, so sind die Erwartungen an die nächsten zwölf Monate zu diesem Zeitpunkt doch immer mit einer gewissen Spannung geladen. Wird’s gut? Wird sich alles so entwickeln, wie ich es brauche, wie ich es mir wünsche? Oder auch, bleibt alles so gut, wie es gerade für mich läuft? Für manche von uns stellen sich auf den ersten Blick vielleicht aber fast trivial anmutende Fragen, die uns aber letztendlich zu jener Klarheit führen können, die wir uns für einen Neustart ins Jahr wünschen. So, wie ein Bekannter, der mich die Tage anrief. Nach unserem herzlichen Austausch der besten Wünsche für das neue Jahr kam er schnell auf den Punkt. „Es hat mich voll erwischt, Sylvester. Entweder ich stürze mich jetzt in eine Affäre oder ich komm zu Dir zum Coaching ... Was meinst Du?" Ich überlegte kurz. „Beides", sagte ich, halb im Scherz, halb ernst. Er lachte und nun hat er einige Termine in der nächsten Zeit bei mir zum Coaching. Ob er die Affäre jetzt auch anfängt kann ich noch nicht sagen. Was ich aber sagen kann, warum meine Anwort nur halb im Scherz gesagt war. Wobei ich dabei natürlich an Männer UND Frauen denke, denn immer mehr Frauen gehen fremd und es war ja lediglich der Zufall in dieser Geschichte, dass es ein Mann war, der mich anrief. Erstens: Dazu möchte ich Oskar Wilde zitieren, "The only way to get rid of temptation is to yield to it. – Die einzige Möglichkeit einer Versuchung zu entkommen ist ihr nachzugeben.“ Im Prinzip stimmt das, denn solange wir es als reizvoll, vielleicht sogar als einmalige Möglichkeit empfinden, können wir an nichts anderes denken, als an eben diese Versuchung. Selbst wenn wir hadern, alles dreht sich um dieses eine verlockende Angebot. Unsere ganze Aufmerksamkeit, der Großteil unserer Energie, okkupiert von „ja oder nein?“ Womöglich lenken wir uns dann noch mit zu viel Arbeit oder zu viel Aktionismus generell ab. Wie auch immer - wir lenken uns nur ab. Aber erfüllend ist das auf die Dauer nicht. Das bedeutet, zweitens, für mich als Coach, im Coaching wird es also, wie die Erfahrung zeigt, nur darum gehen, soll er, will er, warum; soll er nicht, warum besser, wenn nicht, Vernunft, Moral ... das ganze „gib-mir-die-Erlaubnis- oder rede-es-mir-aus-Programm“ – Nicht das, was ich unter einem erfolgsversprechenden Coaching verstehe. Es ist das berühmte Behandeln der Symptome aber eben nicht der Ursache. Denn es geht nicht darum, ob ich, als Coach, für oder gegen Affären bin, oder ob mir die Erfahrung oder meine professionelle Sichtweise ein Pro oder Contra nahelegt. Und statt sich, drittens, mit der Frage nach dem Sinn in seinem Leben, was ihn treibt, bewusst oder eben unbewusst, auseinanderzusetzen, sich Klarheit zu verschaffen, wird er sich entweder in seine Selbstkontrolle flüchten, sich in seiner heroischen Haltung gefallen, wenn er widersteht und dies bei jedem nächsten Streit mit seiner Partnerin z.B. mit dem Appell an IHRE Verantwortung oder Selbstbeherrschung auch ungesagt demonstrieren. Oder, im Falle eines Singledaseins, an weiteren einsamen Tagen und Nächten zunehmend in Selbstkontrolle vergrämen oder in Selbstmitleid baden – beides unattraktiv. Ähnlich kann der Ablauf sein, wenn er, viertens, eine Affäre ohne Coaching beginnt. Ich verzichte auf nähere Erläuterung in diesem Szenario, denn wir alle kennen es, sei es aus eigener Erfahrung oder aus Gesprächen mit „Opfern“ und „Tätern“ – kurzer Genuss, intensives Leiden mindestens einer der involvierten Personen, nicht selten endend in meist völlig übereilten (Ent-)Scheidungen samt Schlammschlacht oder als Weiterhin-Single in einer Depression, oder, oder, oder – wie auch immer, in vielen Fällen sehr oft nicht schön, das alles. Aber ... fünftens, wir suchen meistens gar nicht nach einer anderen Person, wir suchen eigentlich ein anderes Selbst, sagt die renommierte Paartherapeutin Esther Perel. Aus meiner Praxis kann ich das bestätigen. Ja, eine Affäre kann der Sargnagel zu einer sowieso schon abgestorbenen Beziehung sein. Aber wenn wir in unserer menschlichen Schwäche dieses andere Selbst von uns zwar in einer Affäre kennenlernen, es aber mit jemandem professionell und neutral reflektieren, dann kann das passieren, was auch Perel ihren Paaren nach einer überstandenen Affäre erzählt – "in der westlichen Welt haben die meisten von uns heutzutage im Schnitt zwei bis drei Beziehungen oder Ehen im Leben, und einige von uns haben diese mit der selben Person." Résumé ... Nochmal, ich plädiere nicht dafür, eine Affäre zu suchen! Aber wenn es uns erwischt, wenn der Flirt, dieses anregende Spiel von Selbstkontrolle und Kontrollverlust, von der Salon in ihrer aktuellen Ausgabe hanseatisch cool als Technik -Kulturtechnik- beschrieben, wenn also diese Technik durch Blitzeinschlag versagt und wir auf Gleitflug umschalten müssen, dann kann diese Erfahrung eine sein, die wir nicht missen möchten. In jeder Hinsicht. Denn aus der Paartherapie wissen wir inzwischen, es ist fast nie die Affäre an sich, die bereut wird, sondern das Leid des Partners. Es kann somit eine sehr intensive und lebendige Art der Selbsterfahrung sein. So eine, an der wir wachsen können und sogar unsere Liebe und Partnerschaft - vorausgesetzt, wir verlieren nicht komplett den Kopf ... oder suchen unser anderes Selbst lieber gleich beim Coaching. In diesem Sinne, ein fröhliches neues Jahr!! .
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AuthorMein Name ist Katja Stermsek Archives
March 2020
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